Einleitung
Daphne mezereum leitet seinen Namen von 'mezereon' ab, das im mittelalterlichen Latein benutzt wurde und seinerseits vom arabischen māzaryūn (مَازَرْيُون) hergeleitet wird. Bezeichnet wird damit diesselbe Pflanze (1). Daphne ist der Name eines wohlgestalteten griechischen Mädchens, das von Zeus in einen Lorbeerbaum verwandelt wurde, als Apoll, Zeus' Sohn, von seiner Liebe zu ihr nicht lassen konnte (2).
Der deutsche Name der Pflanze ist Seidelbast oder Kellerhals. Etymologisch kommt der letzte Name aus dem Mittelhoch- und -niederdeutschen von kellen, killen, queln, da es als Purgiermittel im Hals ein heftig brennendes Gefühl auslöste (3).
Es sind laubabwerfende Sträucher oder Halbsträucher aus dem eurasischen Raum, die von den Gebirgen des Mittelmeerraumes bis zum Baikalsee in Sibirien vorkommen (2).
Die wesentlichen toxischen Bestandteile sind die chemisch verwandten Mezerein (s. Strukturformel auf dem Bild rechts, es ist ein Ester des 12β-Hydroxydaphnetoxins mit dem Xanthophyll Juarezinsäure) und Daphnetoxin, wobei ersteres als schwacher Promoter von Hautkrebs bei Mäusen gilt. Beim Menschen gelten beide Substanzen als Ko-Karzinogene. Hauptsächlich ist das Gift in den Samen, weniger in Früchten und der Rinde enthalten. Es kann auch durch die Haut aufgenommen werden und führt neben Hautreizungen und -Ulzerationen v.a. zu Nieren- und ZNS-Schäden (3). Einige Beeren können beim Menschen tödlich sein, 10 Beeren ein Kind töten. Aber auch andere Säugetiere reagieren stark darauf, die tödliche Dosis beim Schwein liegt bei drei bis fünf Beeren, beim Pferd bei 10 g Rinde.
Interessanterweise wurden lt. Wikipedia (4) die Samen von Daphne mezereum früher 'volkstümlich als Brechmittel, bei Verstopfung und zur Behandlung von Krebs eingesetzt.' Da eine genaue Quellenangabe fehlt, muss dies vorerst einmal unüberprüft bleiben. Hierbei ist die (dosisabhängige) Wirkumkehr (krebsauslösend <-> krebsheilend) ja gerade homöopathisch höchst bemerkenswert. Während die moderne Wissenschaft die krebsunterhaltenden und -auslösenden Eigenschaften beschrieben hat, war seine krebsheilende Eigenschaft in der Volksmedizin bereits vorher bekannt. Es entspricht dem, was ich als erste Säule der Homöopathie beschrieben habe, die Idee Ähnliches durch Ähnliches zu heilen. Ein Agens, das etwas auslösen kann, ist auch in der Lage diesen Zustand zu beheben. Diese Beobachtung gibt es ja schon sehr lange in Mythen und Sagen (s. hier) und ihre antiken Vorläufer wurden von Tischner (5) als magisches Simile bezeichnet. Letzter möge mir diese Erwähnung verzeihen, da er speziell eine Vermischung dieser antiken Ideen mit dem vom Hahnemann ins Leben gerufen homöopathischen System nicht direkt sehen wollte (s. Zitat hier). Das ist vollkommen richtig, denn immerhin hat Hahnemann fast 50 Jahre lang die zweite und dritte Säule der Homöopathie, die Arzneimittelprüfung und die Verdünnung oder Dynamisation entwickelt und in ein wissenschaftlich höchst akkurates Regelwerk (6) gefaßt. Vom Chinarindenversuch 1790, der ihm das Simileprinzip lebhaft selbst vor Augen führte, bis zur Umkehrung der Verdünnungsreihe, von den in seinen Augen schwächeren hohen Verdünnungen zu den niederen Verdünnungen hin, ca. am 11.9.1838, hat es immerhin 48 Jahre gedauert. Erst danach wurde ihm klar, dass die hohen Potenzen stärker wirken als die niederen (7).
Quellen:
(3) Kluge, Etymolosisches Wörterbuch der deutschen Sprache, De Gruyter Verlag, Berlin 2011
(5) Rudolf Tischner, Das Werden der Homöopathie: Geschichte der Homöopathie vom Altertum bis zur neuesten Zeit, Hippokrates Verlag, Stuttgart, 1950
(6) S. Hahnemann, Organon der Heilkunst, 1. Auflage, 1810
Klassische Literatur
Bei Boricke (1) sehen wir ein recht unaufgeräumtes Arzneimittelbild, mit Betonung auf Hautsymptomen, Knochenaffektionen und Neuralgien bei dem ein Gemütsbild vollständig fehlt. Er macht den Eindruck, als habe man die verschiedenen Prüfungssymptome ein wenig sortiert und mit den wenigen praktischen Erfahrungen, die man hatte, verkleppert. Die Empfindlichkeit und das Gefühl von kalter Luft scheinen häufiger beobachtet worden zu sein, denn sie findet an unterschiedlichen Stellen Erwähnung (Allgemeine Empfindlichkeit gegen kalte Luft ... als sei das Mittelohr kalter Luft ausgesetzt ... Gefühl von Kälte und Steifheit des Auges ... Frösteln der Haut mit Juckreiz (1)).
Ganz analog finden wir auch in Kents Materia Medica (2) eine Betonung der Symptome der Haut, wobei Kent die Modalitäten spezifiziert und davon spricht, dass die Schmerzen und Neuralgien durch Kälte, das Jucken und die Ruhelosigkeit aber durch Wärme verschlimmert werden. Er gibt erste Hinweise auf ein Gemütsbild des Mittels, indem er von religöser oder finanziell (verursachter, Anm. von mir) Melancholie spricht, die sich 'selbst um das Geschäft des Patienten herum bildet. Er ist gleichgültig gegen alles und jeden; reizbar; kann nur schwierig denken; das Gedächtnis ist schwach; abwesend; keine Ruhe, wenn alleine, dennoch Abneigung zum Sprechen. ... Vorkommen von Hautausschlägen in der Historie. ... Angst in der Magengrube. Als würde etwas (schreckliches) geschehen.' (eigene Übersetzung).
Eine Synthese dieser beiden finden wir in Phataks Materia Medica (3), wobei ich nichts wirklich Neues darin entdecken konnte.
Interessanterweise finden sich bei Boenninghausen interessante Gemüts-Symptome (4), wie geistige Dumpfheit, häufiges Verschwinden der Gedanken, er wirkt berauscht ... ist verdrießlich ... unmotiviert (Übersetzung von mir). Auch wenn sie hier dramatischer Klingen, als in den von mir beobachteten Fällen, geht es definitiv in die richtige Richtung.
(1) Boericke, W., Materie Medica aus MacRepertory für Windows
(2) Kent, J. T., Homöopathische Arzneimittelbilder, Narayana Verlag, Kandern 1998, Erstausgabe Boericke & Tafel, Philadelphia, 1905.
(3) Phatak, S. R., Materia Medica of Homoeopathic Medicines, Narayana Verlag, Kandern, 1999
(4) A synopic key of the Materia Medica, by Cyrus Maxwell Boger, http://homeoint.org/books2/boenchar/mmmernat.htm#Mez
Eigene Erfahrungen
Mezereum ist ein Medikament, bei dem in meinen Augen die Beschreibung in der Literatur sehr mißverständlich ist. Zumindest wird viel der Phantasie des Lesers überlassen, um aus den aufgelisteten Prüfungssymptomen ein kohärentes Bild zusammen zu setzen (s. meine Ausführungen über die homöopathischen Arzneimittellehren). Es gibt zwar Versuche, die Symptome zu sichten und zu einem großen Ganzen zu gestalten, eine verständliche Beschreibung des Mezereum-Patienten konnte ich jedoch nirgendwo finden. Dabei ist es hier, wie bei jedem Mittel: Hat man das dahinterstehende Bild erst einmal verstanden, wird das Auffinden einfach und erfodert oft nur mehr kleine Hinweise darauf, wie man sie aus dem Repertorium dann erhalten kann.
Bei Mezereum ist das Entscheidende in meinen Augen eine Gleichgültigkeit und Zufriedenheit, wo man diese eigentlich, aufrund der beschriebenen Situation und des Erlebten, nicht erwarten würde. Nach außen wird wie selbstverständlich und ohne darüber nachzudenken oder sich dessen gewahr zu sein, eine dicke Schicht Normalität und Zufriedenheit gezeigt, die nahe an Gleichgültigkeit grenzt. Dies ist fast ein psychisches Analog der äußeren Situation, in der sich Wunden finden, deren Oberfläche abgeheilt erscheint, die aber in der Tiefe weiter schwären (1). In dieses Interpretationsschema passt auch die Idee der Kopfschmerzen, die durch Berührung ausgelöst werden können. Eine Berührung könnte ein Platzen der empfindlichen Oberfläche verursachen, was, durchaus auch im übertragenen Sinne, zu Kopfweh führt. Dinge, die dann hervorplatzen, wie z.B. auch Wut oder Ärger, führen schnell zu Reue (s. Repertorium) und dem Verlangen alles zu überdecken, speziell aber das Gesicht, was Mezereum bessert. Bei Bönninghausen ist es für diese Eigenart als einziges Mittel verzeichnet.
- Gesicht; BÖNNINGHAUSEN; amel.; Zudecken (1): mez
Ebenfalls in diese Sichtweise des sykotischen Mittels mit einer schönen Oberfläche, unter der sich Unangenehmes versteckt, passen auch die quälenden, angstvollen Träume (s. Repertorium).
Man erkennt diese Sykose an der unbedingten Zufriedenheit, die einen an Opium, Mag-s oder Menyantes denken läßt, allerdings passen die Patienten nicht ins Rasternetz dieser Medikamente. Es gibt einfach keine Hinweise auf z.B. Opium. Mezereum ist zwar anpassungsfreudig, kann wie Opium erscheinen, aber das Planen (und auch Ausführen) von (Geschäfts-)Ideen, wie es für letzteres typisch ist, erscheint bei Mezereum eher als Notwendigkeit, nicht als intrisische Idee und müheloses Ansinnen. Dabei ist es durchaus fähig und zu vielem in der Lage, aber sie erscheinen immer ein wenig so, als wüssten sie selbst nicht, warum sie das eigentlich tun. Dies entspricht vielleicht der Verwirrung, wie sie die klassische Literatur erwähnt. Sie könnten eigentlich auch etwas anderes tun, als sei ihnen alles völlig egal (2).
Daneben gibt es eine Art von Hysterie, jedenfalls Symptome aus dem hysterischen Formenkreis, wie z.B. den klassischen Globus hystericus oder die Überempfindlichkeit auf Temperaturen. Ersteres hat mich einmal, gemeinsam mit der Zufriedenheit und einer deutlichen Rotverfärbung des Gesichts zu dem Mittel geführt. Da diese Art der Hysterie jedoch wirklich sehr tief unter einer syotischen Fassade der Normalität liegt, ist sie kaum mehr als zu erahnen und nicht so vordergründig zu sehen, wie bei den anderen 'hysterischen Mitteln', wie Ignatia, Asa foetida, Moschus, Valeriana, Lilium tigrinum oder Crocus, um die wichtigsten aufzuzählen.
Die immer wieder in der Literatur erwähnte Angst, die aus der Magengrube aufsteigt, konnte ich nicht finden. Auch zeigte keiner meiner Patienten, die auf Mezereum reagiert haben, ein Verlangen nach fetten Speisen (3). Des bestätigt einmal mehr, was ich bei Dr. Vijayakar in Mumbai gelernt habe, nämlich die Nahrungsmittelverlangen nicht zu hochwertig einzuordnen, da sie sehr oft mißverständlich sind. Prüfer mögen das häufig beobachtet haben, es ist aber wohl eher im psorischen Formenkreis zu verorten und deshalb in unserer sehr sykotischen Welt nicht als wahlanzeigendes Symptom zu verwerten.
(1) Zu lesen bei Kent: "Head covered with thick, leather-like crusts, under which thick, white pus collects here and there ...". Der Kopf ist mit leder-ähnlichen Krusten bedeckt, unter denen sich hier und da dicker, weißer Eiter ansammelt (Übersetzung von mir).
(3) Vermeulen, F., Synoptic Materia Medica, 3. Aufl.Emryss Publishers; 1994
Repertorium
- Gemüt; ZUFRIEDEN (53): aloe, alum, androc, aq-mar, arist-cl, aur, bell, Bor, but-ac, calc-acet, caps, carbn-h, carl, caust, choc, cic, coca, cocc, com, cycl, falco-p, fl-ac, germ, gins, haliae-lc, hydr-ac, hydrog, ichth, kola, lac-lup, lap-c-b, lar-ar, lat-h, laur, led, lim-b-c, mag-s, mant-r, mate, meny, mez, nat-c, nat-m, neon, op, ozone, phos, scut, spig, staph, tarax, tus-f, zinc
- Gemüt; TRÄUME; angstvoll; quälend (5): alum, arn, aur-m, carb-v, mez
- Gemüt; ÄRGER, Zorn, Wut; allgemein; abwechselnd mit; Reue, schneller (7): anan, croc, lyss, mez, olnd, sulph, vinc
- Gemüt; REDEN, redet; allgemein; verärgern, die andere, Drang Dinge zu sagen, und bereut es bald darauf (1): mez
- Gemüt; WUT, Raserei, Rage; abwechselnd mit; Reue, schneller (2): croc, mez
- Gemüt; GLEICHGÜLTIGKEIT, Apathie, Teilnahmslosigkeit; tot, alles erscheint ihm, nichts macht auf seinen Geist einen lebendigen Eindruck (2): hydrog, Mez
- Gemüt; GLEICHGÜLTIGKEIT, Apathie, Teilnahmslosigkeit; Lesen oder Zuhören, beim (1): mez
- Gemüt; GLEICHGÜLTIGKEIT, Apathie, Teilnahmslosigkeit; Personen, gegenüber allen (4): agki-p, hydr-ac, kali-m, mez
- Gemüt; VERWIRRUNG, geistige; weiß weder, wo sie ist, noch wo die Gegenstände in ihrer Umgebung herkommen (9): aesc, cann-s, coff-t, glon, haliae-lc, lim-b-c, merc, mez, neon
- Gemüt; ANGST; Liegen; hinlegen mit Bangigkeit, muss sich (3): mez, ph-ac, phel
- Gemüt; PANIK, große Angst mit innerer Unruhe; hinlegen, muß sich (3): mez, ph-ac, phel
- Gesicht; BÖNNINGHAUSEN; amel.; Zudecken (1): mez
- Kopfschmerzen; ALLGEMEIN; Berührung; agg. (80): ... Mez, ...
- Kopfschmerzen; ALLGEMEIN; Berührung; agg.; Zorn, nach (1): Mez