Pulsatilla pratensis
Einleitung
Bislang kamen hier in erster Linie unbekanntere Mittel zur Sprache, aber jetzt wollte ich für September ein seit langem gut bekanntes und sehr, sehr breit einsetzbares Mittel beleuchten. Meine Wahl fiel dabei auf Pulsatilla pratensis, die Küchenschelle, das den meisten Homöopathen hinreichend bekannt sein dürfte. Im Englischen heißt sie auch Windflower oder Small Pasque Flower, da sie an Ostern blüht und ihre Blüten zum Einfärben von Ostereiern genutzt wurden.
Klassische Literatur
Das Bild von Pulsatilla ist sehr umfangreich beschrieben in der homöopathischen Literatur und man kann sich des Bedürfnisses nicht erwehren, Einzelheiten streichen zu wollen, um sich einen Überblick zu verschaffen. Sonst verliert man sich zu leicht in unbedeutenden Smptomen, wie es bei den großen Polychresten so schnell geht. In der Materia Medica von Kent widmen sich z.B. 16 eng beschriebene Seiten diesem Mittel (1). Letztendlich kommt es ja bei 99,9% der Fälle darauf an, das Wesen des Patienten zu verstehen, um ihm das korrekte Mittel geben zu können. Dabei kann man einzelne, je ungewöhnlicher desto besser, Eigenarten des Menschen verwenden, um sich dem Similimum anzunähern.
Um zu vermeiden, dass man sich zu sehr im Detail verliert, habe ich hier einige Symptome zusammengestellt, die sich in meinen Augen bei den meisten Pulsatilla-Patienten so finden, keinesfalls aber immer so vorkommen müssen. Wie immer sind Symptome und/oder Repertoriumsrubriken immer nur Hinweisgeber und es kommt nicht selten vor, dass uns ein Patient nach Jahren der Behandlung, die auch nicht immer vollkommen verkehrt gewesen sein muss, etwas erzählt, dass unseren Blick auf ein neues, noch tiefer gehendes Mittel lenkt. Allerdings sollte man bei Pulsatilla, wie auch bei den anderen homöopathischen Mitteln, einige Eigenschaften finden, die sich vielleicht auch nur im Gefühl des Behandlers widerspiegeln. Dies haben ich unter 'Eigene Erfahrungen' zu beschreiben versucht.
Doch hier zum Einstieg einige Auszüge aus den Beschreibungen der klassischen Literatur:
- Die Wetterfahne unter den Heilmitteln. ... leicht zu Tränen geneigt ... Außerordentlich sanft und milde ... (2).Der Patient sucht die frische Luft; fühlt sich dort immer besser, sogar wenn er fröstelt. ... Weint leicht. Furchtsam, unentschlossen. Fürchtet Alleinsein am Abend, Dunkelheit, Geister. ... Neigung zu Extremen von Freude und Schmerz. Stark emotional. Stimmungsmäßig wie ein Apriltag. ... Trockener Mund ohne Durst. (3)
- Menschen mit ... langsamem, phlegmatischem Temperament; ... leicht zum Lachen oder zu Tränen bewegt; liebevoll, mild, freundlich ... Ständiger Wechsel der Symptome ... Durstlosigkeit bei nahezu allen Beschwerden. Magenbeschwerden; nach schwerem Essen, Kuchen, Gebäck, besonders Schweinefleisch oder Wurst (4).
- Immer wieder wird es auch mit Kalium-sulphuricum (2)(oder Kalium-muriaticum (3)) verglichen, da beide Mittel typischerweise dicke, milde und gelb-grüne Absonderungen haben (1, 2). Dabei erscheinen mir die Kalium-Mittel beide deutlich anders, sie erscheinen in der Praxis wesentlich lebhafter und agitierter. Eine Verwechslung erscheint mir bei Patienten, die sich selbst artikulieren können und nicht etwas kommunikations-beschränkt sind, kaum möglich. Aber vielleicht haben die alten Homöopathen eben auf solche Patienten abgehoben, bei denen sie dann nur aufgrund von körperlichen Symptomen verordnen konnten.
- Clarke vergleicht es auch mit Argentum-nitricum, wenn er sagt, man könne es geben, wenn letzteres Mittel versagt habe und umgekehrt (5).
(1) Kent, J. T., Lectures on Homoeopathic Materia Medica, 3. Auflage, Boericke und Tafel 1923
(2) Lippe, A., Grundzüge der charakteristischen Symptome der Homöopathischen Materia Medica, 3. Auflage 1996, Burgdorf Verlag, Göttingen
(3) Boericke, W., Materia Medica, aus MacRepertory für Windows Pro 6.1.7
(4) Allen, H. C., Leitsymptome homöopathischer Arzneimittel, 4. Auflage, Urban und Fischer, München 2005
(5) Clarke, J. H., A dictionary of practical materia medica, London Homoeopathic Publ. Co., 1900 , 1902
Eigene Erfahrungen
Irgendwie muss man versuchen, das sehr umfangreiche Mittelbild, wie es von großen Polychresten, wie Pulsatille eines ist, in den Büchern beschrieben steht, für die tägliche Anwendung in der Praxis zu vereinfachen. Natürlich kann man damit nicht jedem möglichen Gebrauch des Mittels gerecht werden, aber es ist ein guter Anfang und man kann seine Mittelkenntnisse dann jederzeit aus der Literatur erweitern. Routinemäßig schreibe ich bei Pulsatilla im weiblichen Geschlecht, es gibt jedoch auch Männer, die dieses Mittel benöten. Aufgrund der Rollenverteilung in unserer Gesellschaft, sind es aber vornehmlich Frauen, denen man das Mittel verordnen wird.
Man beginnt an Pulsatilla zu denken, wenn die vor einem sitzende Patientin still, sanft, warmblütig und durstlos ist. Dann fragt man eventuell schon gleich danach, ob sie leicht und gerne weint und hat hiermit gegebenenfalls eine erste Idee. Im weiteren Gespräch erfährt man, dass sie immer rückversichert werden möchte, dass alles in Ordnung ist, was sie tut. Das braucht sie mehr als reine und bedingungslose Liebe. Eine Ursache für diese Grundeigenschaft könnte sein, dass der Pulsatilla-Patient sich selbst als wechselhaft und unstet erlebt, was er ja auch ist. Dauernd ändern sich die Symptome und ihre Eigenschaften und Stimmungen (s. Repertorium).
Gleichzeitig aber, und das ist wichtig bei dem Mittelbild, sind sie auch sehr fordernd und möchten viele Dinge haben (s. Repertorium), wobei sie hierbei recht egoistisch imponieren. Dies tritt insbesondere in der sykotischen Lebensphase des mittleren Lebensalters zu Tage, etwa ab dem 20igsten bis 30igsten Lebensjahr. Bei Kindern haben wir weniger Egoismus, man sollte also immer die miasmatische 'Einfärbung' der Mittel beachten (1). Bei Kindern hat man rein das Weinerliche und sanfte Temperament.
Insbesoderen das klassische Symptom des 'Sich-verlassen-fühlens' habe ich sehr selten expressis verbis bei Pulsatilla gehört, man kann es allerdings als allem zugrunde liegendes Lebensgefühl spüren, wenn man ausreichend feinfühlig ist.
Pulsatilla-Patienten haben gemerkt, wie leicht Ihnen das Weinen fällt und nutzen es dann auch gerne aus, um sie Vorteile zu verschaffen, wenn ihre Umwelt sie bemitleidet. Dabei tritt das Weinen nicht aus Mitleid mit anderen auf, sondern nur wenn es um sie selbst geht (1).
Was auch wichtig ist, Pulsatilla ist in meiner Erfahrung selten wirklich reizbar (auch wenn es dreiwertig unter Reizbarkeit gelistet ist). Und wenn doch, ist es eine irgendwie fast kindlich trotzig wirkende Reizbarkeit, ganz anders als bei Anacardium, Nitricum Acidum, den Steinen, Aesculus, Kali-Verbindungen, Hepar-sulphuris o.a., die ernsthaft Streit suchen und denen man die Reizbarkeit in der Praxis deutlich anmerkt.
Nur zu gut ist mir auch ein Fall in Erinnerung, bei dem ich lange Zeit Pulsatilla gegeben habe, mit gar nicht so schlechtem Resultat aber irgendwie bewegte sich nach einem dreiviertel Jahr nicht genug, so dass ich schließlich Stramonium gab, das den Fall vollständig klärte und auch die lange bestehende Migräne nicht besserte sondern komplett beseitigte. Wo liegen jetzt aber die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Mittel. Auf den ersten Blick mag man einwenden, dass man sie doch gar nicht verwechseln könne, aber dem ist nicht so. Beide Mittel sind zweiwertig in 'Verlangen nach Gesellschaft', aber während Stramonium dann wirklich ruhig und zufrieden ist, ist Pulsatilla voller Wünsche und weiterer Begehren. Es geht ihr nicht so sehr um die Gesellschaft an sich, sondern darum, jemanden bei sich zu haben, der sie aufbauen kann und von dem sie eine Bestätigung erfährt. Dies ist wohl auch ein Gutteil des Egoismus, der Pulsatilla so auszeichnet. Das ist bei Stramonium sehr viel weniger der Fall, dafür ist es panischer und potentiell gewalttätiger, was sich bei Pulsatilla fast nicht findet. Wenn man die beiden Mittel differenzieren möchte, sollte man diese 'dunklen Elemente' suchen, die oft entweder gezieltes Nachfragen oder sehr gute Aufmerksamkeit erfordern. Jedenfalls sind sie bei einem Pulsatilla-Patienten nicht zu finden, im Gegensatz zu dem auch recht milden und netten Stramonium-Typus.
- Gemüt; GESELLSCHAFT, Gemeinschaft, Geselligkeit; Verlangen nach; hält, der ihm die Hand, jemandem (3): bism, phos, stram
- Gemüt; MILDE, Sanftmut, Zartheit (90): ... Puls, ... stram, ...
(1) Eigene Aufzeichnungen nach Dr. Vijayakar, Prafull, Mumbai, Indien
Repertorium
- Gemüt; EHRGEIZ, Streben, Ambitionen; sehr ehrgeizig (46): acon, alum, anac, ars, asar, aur, bar-s, berb, bov, calc, camph, carb-an, caust, cina, cocain, cocc, coloc, con, cupr, cur, cycl, dros, graph, kali-c, kola, lac-eq, lac-h, lach, lil-t, lyc, mosch, nat-m, nux-v, pall, phos, plat, puls, querc-r, ran-b, sars, sil, spig, staph, sulph, tanac, verat
- Gemüt; GEIZ, Habsucht; will alles für sich allein haben (1): puls
- Gemüt; SCHROFF, kurz angebunden; herzlich, jedoch (4): aur-m, lyc, nux-v, Puls
- Gemüt/Mind; LEICHTFERTIG, oberflächlich, leichtsinnig/FRIVOLOUS (18): agar, apisin, arg-n, arn, ...... Merc, ... Puls, ...
- Gemüt; VERLANGEN, Wünsche, Begehren, Drang, Trieb, Bedürfnis; voller (10): cina, coff, dulc, ign, ip, nux-m, puls, rheum, rhus-t, spig
- Gemüt; EGOISMUS, Selbstsucht (39): agar, androc, anh, ars, asaf, aur-ar, bell, calc, calc-f, caust, cench, chin, choc, cic, croto-t, hydrog, ign, kola, lach, lap-mar-c, lyc, med, merc, mosch, nat-m, nux-v, ozone, pall, phos, plat, puls, pyrus, senec, sep, sil, sulph, tarent, tub, valer
- Gemüt; STIMMUNG, Laune, Gemütsverfassung; wechselnd (109): ... Alum, ... Bell, bism, bor, Bov, ... Ferr, ... Ign, Iod, ... Lyc, ... Plat, puls, ran-b, sabad, Sars, ... Zinc
- Gemüt; REIZBARKEIT, Gereiztheit; allgemein; abwechselnd mit; Lachen (3): nux-m, puls, sanic
- Gemüt; BETTELN, flehen (11): achy, ars, aur, bell, kali-c, lyss, plat, plb, puls, stann, stram