Chelidonium majus
Die Botanik
Bei Wikipedia lesen wir (1): 'Ursprünglich war Schöllkraut in den gemäßigten und warm-temperierten Gebieten Eurasiens sowie im Mittelmeerraum weit verbreitet. Nach Nordamerika wurde es von Siedlern mitgenommen, die es als Heilmittel bei Hautkrankheiten verwendeten und gilt daher dort als Neophyt. Diese stickstoffliebende Art wächst verbreitet in der Nähe von menschlichen Wohnstätten, etwa auf Schuttplätzen, an Wegesrändern, in Robinienbeständen und sogar in Mauerspalten, jedoch auch im Gebirge. … Die Bezeichnung „Chelidonium“ wurde erstmals von Dioskurides und von Plinius erwähnt. Sie unterschieden zwischen einem „großen Chelidonium“ und einem „kleinen Chelidonium“. Gemäß Hildegard von Bingen und Heinrich Marzell leitet sich der Name vom griechischen Wort χελιδών (= chelidon, Schwalbe) ab und bezieht sich darauf, dass das Chelidonium beim Eintreffen der Schwalben zu blühen beginnt. Genaust vermutete 1976 hingegen, dass die ursprüngliche Benennung wahrscheinlich auf Grund der gemeinsamen graublauen Farbe von Schwalbenart und einer „herba chelidonia“ erfolgte.'
Die letzte Information sei v.a. erwähnt, weil wir in einer neueren Materia Medica (2) finden, dass Chelidonium-Patienten Schwalben faszinierend fänden. Persönlich kann ich dies nicht bestätigen.
(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Sch%C3%B6llkraut
(2) Müller, Karl-Josef, Materia Medica Müller 'Wissmut', Zweibrücken, April 2007
Eigene Erfahrungen
Chelidonium ist ein sehr positives, gut gelauntes und experimentierfreudiges Arzneimittel-Bild. Deshalb wird es auch nicht so sehr selten bei alternativ-medizinischen Behandlern vorstellig. Stellvertretend hierfür steht seine Reiselust, ein Chelidonium-Patient möchte Neues kennen lernen:
- Gemüt; REISEN; Reiselust (38): am-c, am-m, anan, arag, aur, bac, bar-c, bell, bry, calc, Calc-p, carc, caust, chel, choc, cimic, cur, elaps, elat, falco-p, goss, hipp, hydr-ac, hydrog, ign, iod, kola, lac-eq, lach, lyss, mag-c, merc, merc-i-f, plat, sanic, thea, TUB, verat
Dabei ist es nicht die Unruhe von Mercurius, Tuberculinum, Calc-p oder derartigen Persönlichkeiten, sondern ein wirkliches Interesse an der Welt und neuen Eindrücken. Wenn das nicht bestünde, wären sie auch recht ähnlich zu ihrem deutlich zufriedeneren Verwandten Opium crudum, das aber in seiner 'Entdeckung der Welt' ganz anders vorgeht. Opium hat eher Pläne bezüglich kommerzieller Unternehmungen, Hausbau oder -umbau bzw. geschäftliche Gedanken, Ideen und Pläne, die umsetzen will und auch präzise tut.
Interessant ist die Beziehzung zwischen Lycopodium und Chelidonium, die in der klassischen Literatur aufgrund ihres Leberbezuges und des Verlangens nach warmen (Lycopodium) bzw. heißen (Chelidonium) Getränken oft erwähnt wird. Beides sind Mittel, die dominant sich, wobei Lycopodium wesentlich mehr 'Wille zur Macht' hat als Chelidonium, das primär umgänglich und nicht so machtbewußt ist.
- Gemüt; HOCHMUT, Arroganz, Stolz, Überheblichkeit; steif und anmaßend, angeberisch (1): lyc
- Gemüt; GERINGSCHÄTZIG, verächtlich; hart gegenüber Untergebenen und freundlich zu Vorgesetzten oder Personen, von denen er etwas zu befürchten hat (4): lach, lyc, plat, verat
- Gemüt; DIKTATORISCH, herrisch, dogmatisch, despotisch (37): allox, androc, apis, arn, ars, bamb-a, bar-s, bell, borag, camph, caust, cham, chel, chin, con, cupr, dulc, falco-p, ferr, gall-ac, kola, lac-eq, lac-leo, lach, lil-t, lyc, med, merc, nux-v, ozone, pall, phos, plat, sulph, thymu, thyr, verat
Auch fehlt die Stakkato-Sprache von Lycopodium (1), das dadurch dem eigenen Wort mehr Gewicht verleihen möchte. Allerdings gab es familiär oft Verbindungen zwischen den Mitteln, was in meinen Augen ebenfalls als 'Verwandtschft der Mittel' beschrieben werden kann.
Wie man aus dem Repertorium ableiten kann, hat Chelodium das Gefühl nicht richtig aus den Augen sehen zu können bzw. als sei eine Membran über diese gezogen. Ich denke, man sollte dies einmal im Hinterkopf behalten, ich konnte aber auch im Nachhinein, also wenn ich bereits wusste, dass das Mittel stimmte, nichts derartiges an dem Patienten vor mir, der auf das Mittel reagiert hatte, entdecken.
Übrigens ebensowenig konnte ich eines der sog. wahlanzeigenden Symptome, die in unseren Materia Medica stehen, finden. Dies sind zum Beispiel die immer erwähnten 'Quälenden Schmerzen unter dem rechten Schulterblatt' (2), die 'Fächerartige Bewegung der Nasenflügel' (2), ein anderes Symptom, das Chelidonium mit Lycopodium gemeinsam hat, die stärkere Betroffenheit der rechten Seite (2), 'Ein Fuß kalt, der andere heiß (Dig, Ip, Lyc, Puls)' (2) und andere. Bei Allen lesen wir als Anmerkung von Manfred, Freiherr von Ungern-Sternberg (3): 'Chel.-Patienten sind wegen Geringfügigkeiten deprimiert und sehr auf die Arbeit fixiert, kämpfen für ihre Meinung und zögern nicht mit Kritik. Energisch, praktisch, realistisch, sind sie antiintellektuell und dem Abstrahieren und spekulativen Denken abhold.'.
Wie vieles in der Materia Medica erscheint mir auch diese Beschreibung ins Groteske übertrieben. Dies insbesondere, wenn wir uns vor Augen führen, dass das Gros der Patienten in einer Praxis heutzutage dem sykotischen Miasma angehört, das normalerweise um alles in der Welt versucht, 'normal' und 'gut' zu erscheinen. Wir müssen also eher vorsichtig erspüren, um welchen Typus Mensch es sich hier handelt, wo seine Kardinaleigenschaften liegen. Dabei ist der Chelidonium-Patient, wie gesagt, eher tonangebend und dominant und möchte die Welt erforschen.
Es gibt aber wohl noch eine ganz andere Seite von Chelidonium, die von Müller (4) als Primärzustand angesehen wird (und die dominante, leutselige Seite als 'ins Gegenteil kompensiert'). Demnach ist Chelidonium ein 'grüblerisches' Mittel mit 'vorauseilenden Schuldgefühlen', das 'ständig meint, etwas verbrochen oder Falsches getan oder gesagt zu haben', weshalb es versuche, es beflissentlich und servil jedem recht zu machen.
- Gemüt; ANGST; Gewissensangst; unverzeihliche Sünde begangen und sei für immer verloren, fühlt sich als hätte sie eine (1): chel
Dies ist alles sehr gut möglich, obwohl ich keine Hinweise dafür bei meinen Patienten finden konnte. Interessant bleibt aber festzustellen, dass diese Verdrehungen ins psychologische Gegenteil, meiner Erfahrung gemäß, häufiger auftreten, sich also eine Eigenschaft durchaus ins Gegenteil gespiegelt finden läßt. Man sollte also immer einmal versuchen in 'Paaren' von gegensätzlichen Eigenschaften zu denken.
Allerdings ist hier das Eis sehr dünn und ich würde mich nur sehr ungern auf so etwas verlassen, es sei denn, man findet exakt das oben genannte Symptom der Gewissensangst im Patienten wieder. Wir finden auch, um zur 'Ähnlichkeit' mit Lycopodium zurück zu kommen, dass beide Mittel das Gefühl haben, vom Schicksal nicht besonders gesegnet zu sein.
- Gemüt; PECHVOGEL, fühlt sich als (21): bry, carb-v, carc, caust, chel, chin, cub, graph, hell, hura, ip, kali-c, lyc, merc, rhus-t, sars, sep, staph, sulph, tab, verat
Auch hier sollte man dies nicht wortwörtlich nehmen und eine solche Aussage vom Patienten erwarten, sondern kann sich vorstellen, dass beide Mittel etwas von ihrem Leben erwarten, hier wohl am ehesten in Bezug auf die soziale Stellung:
- Gemüt; SOZIALE; Stellung, bedacht auf die (22): aeth, agar, alum, bell, calc, cann-i, coca, cupr, ign, lyc, lyss, naja, nux-v, pall, phos, plat, puls, rhus-t, sep, staph, sulph, Verat
- Gemüt; FURCHT; allgemein; soziale Stellung, um seine (6): chel, cub, lac-cpr, sep, staph, verat
Um diese Dinge dreht sich bewußt/unbewußt also viel bei dem Mittel, was aber oft nicht unmittelbar geäußert wird während der Anamnese. Man sollte eher nicht glauben, dass man in der Anamnesesituation direkt an das Mittel denkt, sondern im Normalfall repertorisiert man einige Symptome, teilweise auch größere Rubriken, wie z.B. Gewissensangst und Ameisenlaufen der Füße oder etwas anderes, kombiniert diese Rubriken im Computer und wird dann schließlich auf ein Mittel aufmerksam.
Je genauer wir dann die mental/emotionalen Eigenschaften des Mittels kennen, desto schneller können wir uns für eines entscheiden. Teilweise ist man auch in der Lage größere Rubriken nach Mitteln zu durchsuchen, die in Frage kämen. Oder man geht anhand von Pflanzengattungen oder Stoffklassen vor, wie dies von J. T. Kent begonnen wurde und in den letzten Jahren von Dr. Vijayakar in Mumbai verfeinert wurde.
(1) Eigene Aufzeichnungen nach Dr. Vijayakar, Prafull, Mumbai, Indien
(2) Lippe, A., Grundzüge der charakteristischen Symptome der Homöopathischen Materia Medica, 3. Auflage 1996, Burgdorf Verlag, Göttingen, Titel des Originals 'Key to the materia medica, or, Comparative pharmacodynamic', Philadelphia 1854, S. 234ff
(3) Allen, H. C., Leitsymptome homöopathischer Arzneimittel, Herausgegeben, bearbeitet und ergänzt von Manfred Freiherr von Ungern-Sternberg, 4. Auflage, Urban und Fischer, München 2005
(4) Müller, Karl-Josef, Materia Medica Müller 'Wissmut', Zweibrücken, April 2007
Zusammenfassung
Chelidonium-Patienten sind freundliche, leutselige und dominante, starke Persönlichkeiten. Sie haben den Wunsch, die Welt zu erkunden (Reisen) und sind sehr gewissenhaft (dabei ist es nicht in der Rubrik enthalten, wohl aber in Angst, Gewissensangst). Tendenziell sind sie verfroren (umgekehrt Lycopodium) und trinken gerne Warmes.
Repertorium
- Gemüt; REISEN; Reiselust (38): am-c, am-m, anan, arag, aur, bac, bar-c, bell, bry, calc, Calc-p, carc, caust, chel, choc, cimic, cur, elaps, elat, falco-p, goss, hipp, hydr-ac, hydrog, ign, iod, kola, lac-eq, lach, lyss, mag-c, merc, merc-i-f, plat, sanic, thea, TUB, verat
- Gemüt; DIKTATORISCH, herrisch, dogmatisch, despotisch (37): allox, androc, apis, arn, ars, bamb-a, bar-s, bell, borag, camph, caust, cham, chel, chin, con, cupr, dulc, falco-p, ferr, gall-ac, kola, lac-eq, lac-leo, lach, lil-t, lyc, med, merc, nux-v, ozone, pall, phos, plat, sulph, thymu, thyr, verat
- Gemüt; FURCHT; allgemein; soziale Stellung, um seine (6): chel, cub, lac-cpr, sep, staph, verat
- Gemüt; FURCHT; allgemein; Wahnsinn, vor dem, den Verstand zu verlieren; Ruhelosigkeit und Hitzegefühl, mit (1): Chel
- Gemüt; TRÄUME; Begräbnisse (18): adam, aether, allox, alum, ange-s, bart, bell-p, brom, chel, form, hura, kola, mag-c, nat-c, nicc, rat, thuj, tylo-i
- Gemüt; HYPOCHONDRIE, Schwermut; cholerisch, reizbar (1): chel
- Gemüt; ANGST; Gewissensangst; unverzeihliche Sünde begangen und sei für immer verloren, fühlt sich als hätte sie eine (1): chel
- Gemüt; RUHELOSIGKEIT, Nervosität; allgemein; Gewissensnot, durch (6): cand-a, chel, ferr, merc, puls, zinc-o
- Gemüt; VERGESSLICHKEIT; rasieren oder anzukleiden, sich zu (1): chel
- Gemüt; ANGST; Gewissensangst; unverzeihliche Sünde begangen und sei für immer verloren, fühlt sich als hätte sie eine (1): chel
- Gemüt; PECHVOGEL, fühlt sich als (21): bry, carb-v, carc, caust, chel, chin, cub, graph, hell, hura, ip, kali-c, lyc, merc, rhus-t, sars, sep, staph, sulph, tab, verat
- Augen; MEMBRAN über die Augen gezogen, wie eine (10): apis, cann-s, caust, chel, daph, euphr, ol-an, puls, rat, ruta
- Augen; OFFEN, öffnen; kann nicht (47): abrot, alum, alum-p. ... arg, ... aur, ... cham, chel, ... con, Nux-m, nux-v, ... tarent, ...
- Augen; OFFEN, öffnen; schwierig (68): ... chel, …
- Gesicht; SCHMERZEN; allgemein; Augen; öffnen, kann die Augen nicht (1): chel
- Mund; SPEICHEL; bitter (31): aesc, aran, arg-n, arn, ars, atha, bapt, bol, bor, bry, Chel, coca, dios, elaps, fago, kali-bi, kali-s, kalm, lyc, mang, merc, myric, phos, ptel, puls, sant, still, sulph, thuj, ust, verat-v