Einleitung
Der Meerschwamm (Spongia in der Homöopathie, von griechisch Σπόγγος, Spongos = Schwamm) ist ein stammesgeschichtlich sehr altes Tier, das seit vermutlich über 500 Millionen Jahren existiert. Er ist ein Mehrzeller mit unterschiedlich spezialisierten Zellen aber ohne Nervensystem oder Organe, wie dies bei anderen, später aufgetretenen Arten üblich ist. Die jungen Schwämme treiben noch in der See umher, dann werden sie seßhaft und nur einige wenige Arten unter ihnen können sich noch mit sehr niedriger Geschwindigkeit (1-4mm/Tag) und der Hilfe kleiner Haarfortsätze am Meeresgrund fortbewegen (1).
Die Komplexität der DNA-Information dieses sehr frühen Tierstammes hat vor einigen Jahren für Erstaunen gesorgt, fanden sich in seiner DNA unerwatet Code-Sequenzen, die bei wesentlich später entstandenen Tierstämmen erst zu Bedeutung gelangten, d.h. deren Syntheseprodukte erst Millionen von Jahren später wirklich zum Einsatz kamen (2).
Vom Menschen genutzt wird seit Jahrtausenden das Spongin-Skelett der Hornkieselschwämme, das aus einem kollagen-ähnlichen Strukturprotein besteht, das die Kalk- und Silikat-Strukturen des Schwamm-(Exo-)Skeletts miteinander vernetzt und damit dem Schwamm seine äußere Gestalt gibt. Nach dem Herauslösen (Mazeration) der eigentlichen tierischen Zellen bleibt der bekannte Badeschwamm übrig.
Schwämme können ein sehr hohes Alter erreichen. Der älteste noch lebende Schwamm wird auf 10.000 Jahre geschätzt und lebt im Südpolarmeer mit einem äußerst geringen Sauerstoffverbrauch und Wachstum. Derartige Tiere werden gesetzmäßig sehr alt (3).
Auch der durch das Verglühen von Schwammabfällen hergestellte 'gebrannte Schwamm' (Schwammkohle, Spongiae ustae, Carbo Spongiae), wurde in der leicht gerösteten Variante von C.F.S. Hahnemann geprüft und als Spongia tosta bezeichnet. Das Medikament fand früher medizinische Verwendung gegen den Kropf und war bereits zu seiner Zeit nicht mehr in Gebrauch, dem gelernten Pharmazeuten aber wohl in guter Erinnerung. Der wirksame Bestandteil desselben ist höchst wahrscheinlich Iod (2). Den hohen Jod-Gehalt des Schwammes behalten wir im Hinterkopf, da sie mit den Eigenschaften des homöopathischen Mittels gut korreliert. Einschränkend ist hinzuzufügen, dass Hahnemann bereits bemerkte, dass der vollkommen verkohlte Schwamm schwächer wirke, als ein nur ‚braun gerösteter‘. Ansonsten wäre das Mittel wohl auch schwerlich von Carbo animalis zu unterscheiden (4).
(3) http://www.scinexx.de/wissen-aktuell-12061-2010-08-05.html
(4) Aus Samuel Hahnemann: Reine Arzneimittellehre. Bd. 1, Dresden, Leipzig:
‚Der Badeschwamm – das Wurmgehäuse der spongia officinalis, L. – wird, in mässig kleine Stücke zerschnitten und in einer blechernen Kaffee-Trommel, unter Umdrehen über glühenden Kohlen nur so lange geröstet, bis er braun wird und sich ohne grosse Mühe zu Pulver reiben lässt, wovon 20 Gran mit 400 Tropfen gutem Weingeiste täglich zweimal umgeschüttelt, binnen einer Woche, ohne Wärme, zu einer Tinktur sich ausziehen lassen, welche in 20 Tropfen einen Gran Röstschwamm-Kraft enthält.)
Der bis zur schwarzen Kohle gebrannte Badeschwamm (spongia usta, combusta) wie man ihn nicht selten bereitet findet, scheint unkräftiger, dahingegen der auf obige Art bloss braun geröstete sehr geruchvoll ist und dem Weingeiste alle seine grossen Arznei-Kräfte mittheilt. Wasser wird von der eingetropften Tinktur milchig, behält jedoch nicht wenig davon in Auflösung. Der Badeschwamm soll etwas Jodine enthalten.’
Klassische Literatur
Wir finden hier nur vereinzelt Hinweise auf ein kohärentes Gemütsbild dieses, wie auch vieler anderer, älterer Medikamente. Die Betonung liegt auf dem Husten und anderen Symptomen des Atemtraktes, wie Trockenheit, Heiserkeit und einem Stocken der Atmung beim Einschlafen.
Bei Boericke (1) finden wir jedoch schon einen kleinen Hinweis auf die ‚aufgeregte Ängstlichkeit‘ des Mittels, wenn er unter ‚Geist, Gemüt’ schreibt (1): Angst u. Furcht. Jede Erregung vermehrt den Husten.
Erwähnt werden weiterhin: Heiserkeit, ein trocker, bellender Husten, die Unverträglichkeit enger Kleidung am Bauch, ein stürmisches Herzklopfen, von dem er auch aus dem nächtlichen Schlaf erweckt wird und reichlich Blutandrang und Erstickungssymptome, v.a. im warmen Zimmer. Auch hier sehen wir wieder die Nähe zu Iodum, das ebenfalls viel Herzklopfen, Husten und Heiserkeit hat, allerdings weniger Atemnot (2).
(1) Boericke, William, Materie Medica aus MacRepertory für Windows
(2) Atmung; SCHWIERIG; Schlaf; Einschlafen, beim (41): am-c, ars, arum-t, bad, bapt, bell, bry, cadm-s, carb-an, carb-v, carbn-s, cench, crot-h, cur, dig, gels, graph, grin, hep, kali-c, kali-i, lac-c, Lach, manc, merc, merc-i-r, merc-pr-r, morph, naja, nux-m, Op, petr, phos, ran-b, samb, spong, stront-c, sulph, tab, teucr, valer
Eigene Erfahrungen
Der Patient im mittleren Lebensalter kommt wegen Neurodermitis. Er ist sehr nett und leutselig, warmblütig und leidet unter beeinträchtigenden Panik-Attacken, die schon sehr lange bestehen und v.a. in Situationen auftreten, die ihn beengen. In einem gewaltbereiten Elternhaus aufgewachsen, gab es in der Kindheit schon eine Neigung zu vehementen Wutausbrüchen. Auch heute noch mag er Hardrock- und Heavy-Metal-Musik am liebsten und kann dabei bestens entspannen. Nach dem ‚homöopathischen Prinzip‘ weist das auf eine Anspannung und innere Konflikte hin, die durch eine entsprechende Musik abgemildert werden können.
Was auffällt, ist eine mäßige Hektik und Hastigkeit beim Sprechen. Insgesamt wirkt er sehr lieb und höflich, vielleicht mit einem Hauch Naivität und Kindlichkeit, ohne dabei aber das deplatzierte Element der Barium-Gruppe zu zeigen (s. P. Vijayakar, der den Begriff ‚misplaced!‘ für die Barium-Gruppe geprägt hat, was ich sehr bestätigen kann).
Die eigentlich wahlanzeigende Symptomkombination war jedoch ein Schmerz am Schulterblatt und das Stocken der Atmung beim Einschlafen, das über einen längere Zeit in der Vergangenheit regelmäßig aufgetreten ist.
Das Mittel ist sehr interessiert und aufgeweckt und immer für ein angeregtes Gespräch gut (s. Rubriken). Wie in der Einleitung erwähnt handelt es sich bei dem Medikament um die braun gerösteten und damit zur medikamentösen Einnahme vorbereiteten Überbleibsel des Badeschwammes, wie wir ihn kennen. Diese Tatsache wirft die Frage auf, ob es nicht Symptome gibt, die den gerösteten Schwamm in die Gruppe der Carbone fallen lassen könnten. Es scheint mir, dass bei dem gerösteten Naturschwamm, der tatsächlich ja ein Medizinprodukt, also ein Medikament, des 17. Jahrhundert war, die Jod-Komponente vorderhand dominiert. Jedenfalls ist dies so, wenn man die Geschwindigkeit der Person betrachtet, die man als geübter Behandler ja recht schnell wahrnimmt (schnelles, ja fast hastiges Reden und schnelles Denken). Der erste Eindruck, den man gewinnt, scheint also nicht auf ein Carbon hinzuweisen, die ja praktisch alle langsam und fast verzögert reagieren und sprechen. Bei genauerer Betrachtung ändert sich dies jedoch. Kennzeichnende Carbon-Eigenschaften, wie Schüchternheit, Nettigkeit und das Aufgeregtsein vor wichtigen Terminen (‚Antizipieren’) erscheinen mir als wesentliche wahlanzeigende (hier und gerade in Verbindung mit der Schnelligkeit und Hastigkeit dieses Mittels) Charakteristiken von Spongia tosta. Das Spöttische der Carbone konnte ich bei Spongia tosta nicht beobachten.
Die von Dr. Vijayakar hervorgehobene Aktivität und Ruhelosigkeit war bei dem Patientin nach eigener Aussage in der Kindheit prominent, zum jetzigen Zeitpunkt aber von mir praktisch nicht mehr wahrnehmbar.
Repertorium
Atmung; STOCKEND; allgemein; Schlaf; Einschlafen (25): am-c, ant-t, bad, bapt, bry, cadm-s, carb-an, carb-v, cench, cur, dig, gels, graph, Grin, hydr-ac, kali-i, lac-c, Lach, merc-i-r, merc-pr-r, op, ran-b, samb, spong, sulph
Gemüt; GEWITZT (17): aeth, alco, aran-ix, cann-i, caps, chlol, cocc, coff, cortiso, croc, ephe, lach, op, spong, stram, sumb, thea
Gemüt; GEDANKEN; allgemein; drängen sich auf und schwirren durcheinander; Schließen der Augen, beim, eine Vielzahl von Themen, z.T. wissenschaftliche, überschneiden sich (1): spong
Gemüt; TROTZIG, Aufbegehren (28): acon, alum, am-c, anac, androc, arn, Bar-c, bell, bufo, canth, Caust, cina, guai, ign, kreos, lyc, merc, nux-v, ph-ac, puls, ruta, sac-alb, sec, sep, sil, spong, sulph, tub
Gemüt; STREITSUCHT, zänkisch; abwechselnd mit; Heiterkeit und Lachen (4): croc, lach, spong, staph